Liebe Leunaer,
seit mehr als einem Jahr verkündet der Stadtratsvorsitzende stets zu Beginn einer jeden Sitzung, dass „der stellvertretende Bürgermeister, die leider immer noch erkrankte Bürgermeisterin vertritt“.
Wie schön, dass man sie dennoch anlässlich von Volksfesten, Übergaben von Feuerwehrautos, Einweihungen von Neubauten, im Wahlkampf… in der Öffentlichkeit sieht und ihre Reden hören kann. Leider nur dort. Seit mehr als einem Jahr wird sie im Rathaus vertreten.
Nun neigt sich die offizielle Amtszeit der Bürgermeisterin dem Ende, ein Nachfolger wurde gewählt. Stellt sich aktuell die Frage: „Wie verabschiedet man das Stadtoberhaupt?“ So wie es Halle und Merseburg gerade tun? – nicht die feine englische Art. Sich in Dankbarkeit still und leise zurückziehen? – es wäre angebracht. „Sag zum Abschied leise Servus“ – kommt nicht in die Tüte.
Zum Ende muss es noch mal richtig krachen. Big Party, Schampus für alle…
Vielleicht erinnern Sie sich noch an die Posse um die anfänglich offizielle, später semiprivate Geburtstagsfeier eines ehemaligen Landrats? Die hiesige Presse hat umfangreich berichtet. Da war doch was mit der Verwendung öffentlicher Gelder für private Festivitäten?
Der Kölner Karnevalsklassiker: „Wer soll das bezahlen, wer hat das bestellt…?“ ist Ihnen ein Begriff? Eigentlich gilt, wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen.
Aber die Inflation hat die Preise in die Höhe getrieben. Da ist nicht nur Essen und Trinken, sondern auch guter Rat teuer. Die Lösung – ein Strohmann. Das Ding an sich leistet nicht nur im Garten beim Vertreiben ungebetener, zumeist gefiederter Störenfriede gute Dienste, sondern ist auch zu anderem nützlich.
Ich war überrascht, als am 28. April von der „bunten Fraktion“ in der Stadtratssitzung der Vorschlag unterbreitet wurde, einen Jahresempfang zu veranstalten. Keinen Neu-Jahresempfang, weil das neue Jahr schon fast wieder um sei, sondern nur einen Jahresempfang (ohne „Neu“), weil man zwei Jahre lang darauf verzichtet hat. Einfach mal wieder richtig feiern, Leute treffen, miteinander reden…
Wie es sich nach der Geschäftsordnung des Stadtrats gehört, las man den Antrag vor und gab eine schriftliche Version ab. Und man hatte sich auch gleich Gedanken wegen eines Termins gemacht. Es solle der 16. Juni werden. Und – man höre! – auch andere hatten diesen Tag schon im Auge… Stille Begeisterung!
Nur leider besagt die Geschäftsordnung auch, dass ein Antrag frühestens in der nächsten Stadtratssitzung beraten und beschlossen werden darf, also am 24. Mai. Dann hätte unsere Verwaltung aber nur noch 3 Wochen Zeit, um alles zu organisieren.
Es ist irgendwie komisch, eigentlich alles, was in Deutschland und somit auch in Leuna geplant wird, dauert ziemlich lange. Aber unsere Verwaltung soll innerhalb von 3 Wochen in der Lage sein, eine Feier für 500 Leute im CCE auf die Beine zu stellen? Mit Gästeliste, Ehrengästen, Programm, Musik, Essen, Trinken, großem Buffet… alle Achtung!
Nicht, dass unsere Verwaltung demnächst ein Top-Angebot von einer Eventmanagement-Agentur erhält. Wer so etwas organisieren kann, ist zu Höherem berufen.
Aber, vielleicht wird in Leuna auch nur mit Wasser gekocht. Also nichts mit sportlichen 3 Wochen. Sollte die Feier etwa von langer Hand geplant worden sein?
Im Hauptausschuss am 16. Mai wurden schon mal Nägel mit Köpfen gemacht. Die Feier findet statt! „Der Termin im CCE ist schon gesichert worden“, verkündete die anwesende Stadtführung. Und wegen der Gästeliste, brauche man sich auch keine Sorgen zu machen, die habe die Bürgermeisterin schon überarbeitet und vorgelegt.
Offiziell noch nichts beschlossen, aber alles lief nach Plan!
Die Einladungen wurden gleich am Tag nach dem Hauptausschuss in die Post gegeben und erreichten die Adressaten am Mittwoch (18. Mai). Vielleicht sollte die Druckerei werbewirksam erwähnt werden, die noch in der Nacht nach dem Hauptausschuss die Einladungskarten gedruckt haben muss.
Und so kam es, dass die Stadträte die Einladung zur Veranstaltung erhielten, noch bevor sie darüber abgestimmt hatten, ob die Feier überhaupt stattfinden soll.
Das ist die gelebte demokratische Zukunft, das Ergebnis wird freudig schon vor der Entscheidung verkündet.
Also auf zur großen Party im CCE, auf zu Sektempfang und großem Buffet, zu Musik und Unterhaltung. Der Eintritt ist frei.
Natürlich nur für geladene Gäste. Leider!
Traurig? Alle, die nicht geladen wurden, bekommen zum Trost und als kleines Dankeschön auch etwas. Die Rechnung! Schließlich muss irgendjemand die Zeche zahlen. So zwischen 20.000 und 30.000 Euro soll‘s kosten.
Aber Sie haben bestimmt Verständnis dafür und zahlen gern. Fürs erste vielleicht ein paar Cent mehr fürs Trinkwasser…
Udo Bilkenroth
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PS: Ob die oben geschilderte Vorgehensweise nun der Methode folgt: „Entscheidungen wurden in der Sowjetunion „von oben“ getroffen, während man es so aussehen ließ, als ob sie „von unten“ initiiert worden seien“ oder wie der spitzbärtige Walter treffend sagte: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben“, mag dahingestellt sein. Ewig-Gestrige könnte die Angelegenheit eventuell an die Wahlen zu DDR-Zeiten mit den Kandidaten der Nationalen Front erinnern. Das Ergebnis stand schon vorher fest.